Hildegard Gremmel-Simon im Interview mit PH-WIR
Hildegard Gremmel-Simon ist Hochschullehrerin an der FH-Burgenland im Department Energie-Umweltmanagement (EUM) und lehrt in den Bereichen wissenschaftliches Arbeiten und Grundzüge des Engineerings (Werkstoffkunde, Fertigungstechnik, Maschinenelemente und technisches Zeichnen). Wir haben mit ihr über das Projekt „Wwww1 - Wie wollen wir wohnen?“¹ und nachhaltige Entwicklung gesprochen.
PH-WIR: Sie leiten das Projekt „Wwww1 - Wie wollen wir wohnen?“. Was erwarten Sie sich von diesem Projekt?
Hildegard Gremmel-Simon: Ziele des Projektes sind einerseits Kindern und Jugendlichen Forschungsarbeit bzw. den Beruf der Forscherin, des Forschers näherzubringen, indem sie dies direkt in den Forschungseinrichtungen erleben und ausprobieren können. Andererseits sollen die Kinder und Jugendlichen den Bereich „Gebäude und Wohnen“ genauer betrachten, welcher meist nur dann bewusst wahrgenommen wird, wenn etwas nicht funktioniert. In diesem Bereich finden sich auch viele interessante und stark nachgefragte Berufsfelder wie beispielsweise Gebäudetechniker_in, auf die mit diesem Projekt aufmerksam gemacht werden soll. Ein weiteres Ziel ist es auch, den Kindern und Jugendlichen einen Blick auf andere Länder und Kulturen zu ermöglichen, das heißt z.B., die Anpassung der Gebäude an die jeweiligen klimatischen Bedingungen oder sozialen Gegebenheiten zu reflektieren.
PH-WIR: An wen richtet sich das Projekt?
Hildegard Gremmel-Simon: Das Projekt richtet sich an alle Bildungsstufen bis zur Sekundarstufe II, das heißt, in unserem Projekt sind als Bildungspartner ein Kindergarten, zwei Volksschulen, zwei Mittelschulen und die HTL Pinkafeld eingebunden. Über einen sogenannten Kooperationsausschuss hatten noch weitere zehn Bildungseinrichtungen die Möglichkeit, ein thematisch dazu passendes eigenes Projekt durchzuführen. Auch hier waren vom Kindergarten bis zur Sekundarstufe II alle Bildungsstufen vertreten.
PH-WIR: Wie werden die Kinder und Schüler_innen für dieses Thema sensibilisiert?
Hildegard Gremmel-Simon: Zu Beginn des Projektes wurde die Aufmerksamkeit der Kinder und Jugendlichen auf die Dinge gelenkt, die weitgehend als selbstverständlich wahrgenommen werden und somit meist unbeachtet bleiben. Fragen wie beispielsweise „Woraus besteht eigentlich eine Wand?, Woher kommt die Wärme im Raum?, Wie oft soll man lüften?, Wo kommt das Licht her?“ wurden unter fachlicher Anleitung untersucht. In Workshops durften die Schüler_innen mit verschiedenen Messgeräten relevante Größen wie Beleuchtungsstärke, Lärmbelastung, CO2-Gehalt der Raumluft, Temperatur und Luftfeuchtigkeit sowie mit einer Wärmebildkamera die Dämmeigenschaften von Baumaterialien selbstständig messen. Im nächsten Schritt konnten die Schüler_innen auch neueste technische Entwicklungen kennenlernen und ausprobieren, wie zum Beispiel die tageszeitabhängige Lichtsteuerung (Projektpartner Firma Lumitech) oder moderne Raumgestaltung mit Wandbeschichtungen aus Naturmaterialien wie Tee, Kaffee, Heu, … (Projektpartner Firma Kardea).
Das Projekt beinhaltet noch zwei besondere didaktische Schwerpunkte: In Form von Peer-Tutoring geben die Schüler_innen, die durch die Projektarbeit zu Expert_innen wurden, dieses Wissen in Workshops einerseits an die Schüler_innen der darunterliegenden Bildungsstufe weiter und andererseits in Elternworkshops an die Eltern. Die Eltern lernen somit von ihren Kindern die Zusammenhänge und neuesten Entwicklungen, was zu den Highlights des Projektes gehört.
PH-WIR: Seit Beginn des Projektes „Wwww1 - Wie wollen wir wohnen?“ im September 2017 sind nun bereits mehr als zwei Jahre vergangen (Ende für 31.08.2020 geplant). Welche Bilanz lässt sich ziehen?
Hildegard Gremmel-Simon: Wir (das Projektteam) können eine sehr positive Bilanz ziehen. Die Schüler_innen waren und sind noch immer mit Begeisterung dabei. Besonders wenn diese selbst die Workshops leiten durften (Elternworkshops), waren auch eher zurückhaltende Kinder sehr motiviert. Vor allem bestätigen die vielen beiläufigen Bemerkungen wie „Das haben wir auch Zuhause, ist mir aber noch nie aufgefallen!“ oder „Jetzt weiß ich endlich, wie das funktioniert!“ die Wichtigkeit, die Aufmerksamkeit auf dieses Thema zu lenken.
PH-WIR: Welche Möglichkeiten bietet Ihr Projekt für Pädagog_innen, die interessiert sind, bei dem Projekt aber nicht mitmachen (können)?
Hildegard Gremmel-Simon: Es wurden durch Studierende und Lehrende der PPH Burgenland altersgerechte Arbeitsmaterialien entwickelt, anhand derer die Schüler_innen den eigenen Wohnbereich genauer unter die Lupe nehmen können. Diese Materialien werden am Ende des Projektes auf der Homepage der PPH Burgenland und der FH Burgenland zum Download zur Verfügung stehen, und es würde uns freuen, wenn diese noch intensiv genutzt werden. Bei Interesse besteht auch die Möglichkeit, die FH Burgenland in Pinkafeld zu besuchen und im Rahmen eines kurzen Workshops das Forschungslabor kennenzulernen.
PH-WIR: Ein gutes Leben für alle Menschen heute und in Zukunft – so könnte man die Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen auf einen Nenner bringen. Warum liegt Ihnen das Wohnen besonders am Herzen?
Hildegard Gremmel-Simon: Als Kind wird die Wohnumgebung als selbstverständlich und unveränderlich betrachtet. Die erste intensive Auseinandersetzung damit erfolgt in der Regel erst mit der ersten Wohnung oder dem Hausbau. Da werden dann oft Entscheidungen getroffen, die sehr langfristig sind, sowohl in wirtschaftlicher, ökologischer als auch persönlicher Hinsicht. Oft kommt es dann aus Zeitmangel zu Entscheidungen, mit denen man nicht wirklich zufrieden ist.
Daher ist es mir ein Anliegen, dass sich möglichst viele Jugendliche schon früh damit befassen, wie sie einmal wohnen wollen, welche Bedürfnisse bestehen, welche Möglichkeiten vorhanden sind und welche Auswirkungen damit zusammenhängen.
PH-WIR: Können Sie uns zum Schluss noch einige Tipps für „nachhaltiges Wohnen“ geben?
Hildegard Gremmel-Simon: Nachhaltiges Wohnen bedeutet für mich, Wohnen ganzheitlich zu betrachten. Das beginnt damit, die eigenen Bedürfnisse zu erkennen und danach den Wohnraum zu gestalten, nicht nach dem, was gerade in Mode ist. Auch bei Anschaffungen sollte man langfristig denken, denn kostengünstige Varianten können in der Nutzung oft teuer werden. Man sollte sich da schon einige Fragen stellen wie: „Welche Betriebskosten sind zu erwarten?, Wie leicht kann etwas gereinigt werden?, Wie sieht es nach einiger Zeit aus?, Wie muss etwas wieder entsorgt werden?“.
Es zahlt sich auch aus, Gewohnheiten zu überdenken. Anstatt die Heizung von 22°C auf 25°C Raumtemperatur zu stellen, kann man beispielsweise eine Weste anziehen beziehungsweise überlegen, ob man sich nicht zu wenig bewegt hat. Oder man kann im Winter, in dem die Raumluft meistens zu trocken ist, die Wäsche im Raum trocknen, das spart Stromkosten für den Wäschetrockner und Luftbefeuchter.
Ganzheitliche Betrachtung schließt auch die Wohnumgebung mit ein. Da gilt es, nur wenig Oberfläche zu versiegeln, z.B. nur schmale Gehwege und wasserdurchlässige Abstellplätze anzulegen, oder Laubbäume im Garten als Sauerstoffproduzenten und ideale Beschattungsmöglichkeit zu sehen und nicht als Ursache für lästiges Herbstlaub.
Das waren beispielhaft nur wenige Punkte meiner Vision vom nachhaltigen Wohnen. Zusammengefasst bedeutet für mich nachhaltiges Wohnen ein Wohnen mit der Natur als Partner und nicht als Feind sowie nur so viel zu beanspruchen, zu verbauen bzw. zu verbrauchen, wie wirklich nötig ist!
PH-WIR: Danke für das Gespräch und alles Gute für Ihre weitere Arbeit!
¹ Das Projekt wird von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) im Rahmen von Talente Regional gefördert, das Projektkonsortium besteht aus FH Burgenland Standort Pinkafeld (Konsortialführer), Private Pädagogische Hochschule Burgenland, Firma Kardea GmbH und Firma Lumitech.