Agnieszka Czejkowska, Vorsitzende des Hochschulrates der PPH Burgenland, im Gespräch mit PH-WIR

PH-WIR: Ihre Lehre und Forschungsschwerpunkte kurz zusammengefasst.
Agnieszka Czejkowska: Meine forschungsgeleitete Lehre und Publikationstätigkeit sowie die bildungspolitischen und drittmittelfinanzierten Entwicklungsprojekte kreisen um die Frage der gesellschaftlichen Bedingungen von Bildung, vor allem der Qualität und dem Zugang zu dieser: Beteiligung an der Entwicklung einer gemeinsamen Ausbildung für MS-, AHS und BHS-Lehrer_innen in der Sekundarstufe/Pädagog_innenbildung NEU, Entwicklung von differenzsensiblen Lehr-Lernarrangements für pädagogische Aus-, Fort- und Weiterbildung, Entwicklung „fairer“ Face-to-Face Aufnahmeverfahren für PHs und Universitäten. Ein wesentlicher Referenzpunkt dabei ist die Vermittlung und Herausforderung einer bildungsphilosophisch akzentuierten Theorie, Forschung und Praxis. Gegenwärtig verantworte ich gemeinsam mit meinem Team ein Modul der STEIERMARK SCHAU 2021 im Volkskundemuseum Graz, das sich dem „Bildungsbedürfnis“ der Region widmen wird.
PH-WIR: Wie kann der aktuelle Bildungsbegriff aus Ihrer Sicht definiert werden?
Agnieszka Czejkowska: Wie ich in meiner letzten Publikation „Bildungsphilosophie und Gesellschaft“ (2018) aufzuzeigen versucht habe – und viele andere vor mir –, ist eine konkrete Definition von Bildung ein schwieriges Unterfangen. Obgleich Bildung in aller Munde ist, vermag sie kaum jemand eindeutig zu definieren. Wenn Sie etwa nachfragen, was darunter verstanden wird, dann werden Sie staunen, wie unterschiedlich die Antworten ausfallen würden. Gemeinsam ist allen – und das finde ich als Erziehungswissenschaftlerin sehr spannend –, dass niemand etwas Ernsthaftes gegen Bildung vorzubringen hat, aber in der Konkretisierung dann oftmals gegenteilige Positionen vertreten werden. Besonders zu denken gibt uns in diesem Zusammenhang Georg Bollenbecks provokante Schlussfolgerung, dass jede Praxis gemessen an den (überhöhten) theoretischen Ansprüchen einer Bildungstheorie letztlich banal ist. Das ist ein starker Spruch, wenn man das Verhältnis zwischen Theorie und Praxis in Einklang bringen möchte. Da finde ich eine machtanalytische Perspektive dann vergleichsweise „entspannend“: Bei einer näheren Betrachtung ist der undifferenzierte Umgang mit Bildungsansprüchen kaum verwunderlich, denn der je aktuelle Bildungsbegriff ist stets das Resultat gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse und Machtverhältnisse; darin spiegeln sich Normen und zeitgenössische Vorstellungen, wie „der Mensch“ zu sein habe. Und das ist freilich ein „umkämpftes“ Feld unterschiedlicher Interessen. Letztlich führt uns die Spur zu ethischen Herausforderungen einer von Globalisierungsprozessen gekennzeichneten Gesellschaft und ihren Bildungsprozessen. Insofern ist die Debatte um nachhaltige Bildung oder Klimakrise und gesellschaftliches Lernen, an der Zeit, wenn es um das Aushandeln eines aktuellen Bildungsbegriffs geht. Erkenntnistheoretisch betrachtet, reihen sich diese Konzepte in die bildungsphilosophischen Auseinandersetzungen einer posthumanistischen Pädagogik ein, die eine Definition des Menschen zu meiden sucht. Der Mensch wird in dieser Auseinandersetzung buchstäblich nicht als das Zentrum der Welt betrachtet, sondern eingebettet in einer Wechselbeziehung mit der ihn umgebenden Welt.
PH-WIR: Welche Konsequenzen sehen Sie für die pädagogische Praxis vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen?
Agnieszka Czejkowska: Wie oben angedeutet ist das Verhältnis zwischen pädagogischen Praxisstrukturen und bildungsphilosophischer Theoriebildung von jeher etwas überspannt. Und das ist schade, denn es führt dazu, dass aufgrund der vermeintlichen Unvereinbarkeit der unterschiedlichen Wissenszugänge und Forschungsdisziplinen die eigentliche Problemlage der Pädagog_innenausbildung und des Professionsfeldes Schule aus dem Blick gerät: Gesellschaftliche (Ohn-)Machtkonstellationen, Kontroversen und Krisen werden ungefiltert, da bildungspolitisch gesteuert, an die Schulen weitergereicht, statt innezuhalten und in einem weiteren Schritt diese und ihre Auswirkung für die Organisation Schule zu untersuchen. Die Frage, die sich mir in diesem Zusammenhang unweigerlich stellt, ist die nach der Bedeutung von Forschung: Wäre Evidenzorientierung nicht gerade an dieser Schnittstelle eine Empfehlung? Zumindest würde sie den beteiligten Akteur_innen die Gelegenheit bieten zu beurteilen, ob es sich um eine gesellschaftspolitische oder schulpädagogische Aufgabe, gegebenenfalls beides, handelt. Entsprechende Maßnahmen könnten dann einschlägig ausgearbeitet werden. Heterogenität und Diversität von Lebensweisen, Interessen, Einstellungen und Werten sind gesellschaftliche, konfliktgeladene Realitäten und betreffen mitnichten bloß die Frage eines didaktischen Handgriffs, den etwa ein_e Lehrer_in beherrscht oder nicht. Um konkrete Beispiele zu nennen: Standardisierte Vergleichstests sind für die Frage einer nicht näher definierten Bildungsqualität ebenso wenig aussagekräftig wie Curricula für die Inklusionsbereitschaft einer Schule.
PH-WIR: Was sind die Lehren aus der Covid-19-Krise für die Bildung von morgen?
Agnieszka Czejkowska: Die Erfahrung in der Covid-19-Krise bestärkt mich auf allen Ebenen, dass die bereits erwähnte Diskussion um eine posthumanistische Pädagogik – mit ihrem Anspruch, den Menschen, wie und was er ist, nicht zu bestimmen – ein sinnvoller Anfang ist, auf globale Herausforderungen zu reagieren. Wir konnten beobachten, wie schnell sich der Zeigefinger auf Gesellschaften und ihre Lebensweisen, politische Systeme und schließlich Menschen erheben kann, quer über den Globus. Die Covid-19- Krise hat neben vielen anderen Dingen gezeigt, wie rasch rassistische Reflexe in einer Gesellschaft aktiviert werden. Auch das kann ein tödliches Virus sein, wie wir anlässlich der weltweiten Ausschreitungen im Namen von „Black Lives Matter“ gerade lernen – auch in Österreich. Ansätze einer antirassistischen Pädagogik sind mehr denn je gefragt und ein Ausdruck des Scheiterns der bisherigen Bemühungen. Gerade die Kritik am Menschen, der im Zentrum seiner Welt und als Maß aller Dinge gilt, eröffnet einen Reflexionsspielraum bezüglich eigener Urteile und pädagogischer Routinen, denn es sind eben die impliziten Menschenbilder, die in akuten Situationen handlungsrelevant werden und damit die pädagogische Praxis strukturieren.
PH-WIR: Welche strategische Positionierung hat die PPH Burgenland in der aktuellen österreichischen Bildungslandschaft, insbesondere im Entwicklungsverbund Süd-Ost?
Agnieszka Czejkowska: Es kann nur eine inhaltliche Positionierung sein, denn die organisatorischen und politischen Rahmenbedingungen und Spielräume sind ausverhandelt und bekannt. Die Pädagogische Hochschule als Organisation hat nun die Möglichkeit, sich ihrer Bedeutung und Verantwortung als (Aus-)Bildungsinstitution zu widmen. Und das gilt unabhängig von den auf uns zukommenden Entwicklungen: Die Covid-19-Krise wird zur Verbesserung der angespannten budgetären Situation der Hochschulen in Österreich sicherlich nicht beigetragen haben, obwohl das eine Konsequenz hätte sein können/sollen, wenn wir gesellschaftspolitisch argumentieren. Und das ist eben die inhaltliche Auseinandersetzung, die gefragt ist. Wenn ich also das zuvor Gesagte auf die Aufgaben einer Bildungsinstitution umlege, dann ist die inhaltliche Gestaltung der Ausbildung ein Thema. Auch hier wurde im Zuge der Professionalisierung in Österreich auf die Reflexion gesetzt. Es wurde jedoch die Frage nach der Qualität der Reflexion – also der Art und Weise, wie diese kultiviert – marginal bearbeitet und berührt einen kritischen Punkt, wie die abwehrenden Reaktionen von Studierenden auf den Begriff „Reflexion“ veranschaulichen. Hier sollte man erkenntnisbasiert ansetzen, d.h. Formate entwickeln, die nicht länger nach dem Menschen fragen lassen, sondern die Studierenden darin unterstützen, sich von diesem Drang, den Menschen zu definieren und zu fixieren, zu lösen. Das ist meines Erachtens einer der sinnvollsten Beiträge zur Frage der Bildungsgerechtigkeit. Denn die bildungspolitische Konsequenz ist, dass mit jeder Definition stets jene Menschen ausgeschlossen werden, die nicht unter diese fallen. Zweifellos handelt es sich dabei um ein schwieriges Unterfangen, unterliegt doch pädagogisches Handeln stets einer bestimmten Vorstellung davon, wie der Mensch, den es zu erziehen gilt, sein sollte. Doch hier besteht die Chance, dass jene, die bisher ausgegrenzt wurden bzw. nicht einmal in den Blick gerieten, Zugang zu Bildungsmöglichkeiten, die ihnen bisher verwehrt blieben, erhalten. Studierende wie in der Praxis Tätige wissen diese Perspektive im Rahmen der Aus- und Fortbildung in Hinblick auf die Entwicklung eines beruflichen Ethos kontraintuitiv jedenfalls zu schätzen.
PH-WIR: Herzlichen Dank für das Gespräch und alles Gute für Ihre weiteren Tätigkeiten – auch im Interesse der PPH Burgenland!